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Am Sonntag, den 7. September, nahm Christophe Fricker den Zuger Anerkennungspreis entgegen - für seine Übersetzung von Vikram Seths Debütroman "The Golden Gate", der im Herbst 2026 bei Weissbooks erscheinen wird - wir dokumentieren hier seine Dankesrede:
Meine Damen und Herren,
Sie verleihen mir den Zuger Anerkennungspreis, und ich möchte mich bedanken. Die schönste Frage lautet jetzt: Wofür?
Die erste Antwort darf lauten: für die Anerkennung, die dem Preis seinen Namen gibt. Nun habe ich gerade ein Buch des Soziologen Hartmut Rosa ins Englische übersetzt, und Hartmut Rosa hat bei Axel Honneth studiert, dem großen Theoretiker der Anerkennung. Rosa setzt sich von seinem alten Lehrer sehr klar ab. Er sagt nämlich, dass Anerkennung nicht das wichtigste ist, wonach wir in der modernen Welt streben sollten. Anerkennung allein könne nicht zu jenen resonanten, gelingenden Beziehungen führen, nach denen sich der Mensch heute sehnt.
Und es ist ja auch so: Der Zuger Anerkennungspreis ist mehr als Anerkennung. Zu dem Preis gehört, dass Sie alle sich über Jahre hinweg dem Übersetzen widmen, dass Sie Ausschau halten und ermutigen, dass Sie hinausgehen und werben und dass Sie zurückkommen und lesen. Zu dem Preis gehört, dass Sie uns alle hierhin einladen, dass Sie eine Stimmung des Besonderen schaffen, dass Sie uns begrüßen, ins Gespräch bringen und bewirten. All das ist der Zuger Anerkennungspreis.
Und deshalb stimmt es zwar, dass Sie mir den Preis verleihen; aber ausgezeichnet, gehoben, höher gestimmt werden wir alle, indem wir uns das Übersetzen vor Augen führen. Dafür bin ich Ihnen dankbar.
Nun kommt die zweite schöne Frage (und später kommt noch eine dritte!): Was sehen wir denn da, wenn wir uns das Übersetzen „vor Augen führen“, wie ich das gerade genannt habe? Wenn ich sage, dass ich Übersetzer bin und dass ich auch noch Übersetzer ausbilde, höre ich manchmal: „Ja, gibt es das denn noch? Hat die Maschine euch noch nicht ersetzt?“ Ich habe darauf eine ganze Reihe von Antworten, aber ich will Ihnen hier keine Vorlesung halten. Der Kern ist für mich aber die Überzeugung, dass es beim Übersetzen nicht um Fertigkeiten und Arbeitsabläufe geht, und auch nicht in erster Linie um Texte. Beim Übersetzen geht es um Menschen. Mir geht es um Sie. Ich übersetze für Sie. Sie sind mein Ansporn und mein ersehnter Gesprächspartner.
Und mir geht es auch – das darf ich vielleicht etwas plakativ sagen – um mich. Ich übersetze, weil ich übersetzen will. Ich würde nicht aufhören zu übersetzen, wenn die Maschine es so gut könnte wie ich. Ich bin nicht der Lückenbüßer des technologischen Fortschritts, sondern der Sprachhedonist, der ein Sprachleben in guter, mehrsprachiger Gemeinschaft führen will. (Den Begriff „Sprachhedonist“ verdanke ich Klaudia Bednárová-Gibová, einer sehr klugen slowakischen Kollegin.)
Wenn wir den Kampf gegen die Maschine gewinnen wollen, wenn wir glauben, dass menschliche Übersetzer eine Zukunft haben, dann haben wir eine große Aufgabe: eigenständige Sichtbarkeit. Wir müssen zeigen, dass wir nicht alle gleich sind. Wenn Ihnen jemand sagt, dass die Maschine bald so gut übersetzen kann wie der Mensch, dann fragen Sie zurück: Welcher Mensch? Der Zuger Anerkennungspreis erkennt an, dass Menschen unterschiedlich übersetzen. Die wichtigste Aussage, die mit diesem Preis verbunden ist, lautet nicht, dass Christophe Fricker besser übersetzt als alle anderen außer Karl-Ludwig Wetzig, sondern dass er anders übersetzt, eigenständig, und dass alle anderen menschlichen Übersetzer auch unterschiedlich übersetzen. Für diese Aussage, für diese Grundannahme, für die Anerkennung dieser übersetzerischen Grundtatsache bin ich Ihnen dankbar.
Jetzt höre ich, wie Sie Ihrem Nachbarn zutuscheln: „Nun hält er ja doch eine Vorlesung. Soll er doch mal über seine Übersetzung sprechen!“ Damit sind wir bei der dritten schönen Frage: Warum verleihen Sie mir den Preis für die Arbeit an einem so eigenartigen Werk? 594 Onegin-Strophen – das ist doch Wahnsinn! Ich kann Ihnen aus alltäglicher Arbeitserfahrung sagen: Ja, es ist Wahnsinn. Warum mache ich das? Ich will die Frage weitergeben, und zwar an den Autor, sozusagen den Erstwahnsinnigen, Vikram Seth. Der fragte sich das nämlich auch – warum dieses Werk? Er fragt sich das sogar in dem Werk selbst. Am Anfang des fünften Kapitels unterbricht er die Romanhandlung für eine solche Metareflexion. Er erzählt von einer Party, auf der er nach diesem Werk gefragt wird und auf der ihm sehr ehrwürdige Partygäste mit Misstrauen begegnen. Will er das wirklich schreiben? Wozu die Reimerei? So etwas Altmodisches! Und wer braucht einen Abklatsch des großen Puschkin?
Hören wir uns, frisch aus meiner Werkstatt, mal an, wie der Autor bzw. der Romanerzähler erst geknickt und dann wieder selbstbewusst reagiert:
Der Kritiker und der Verleger
Und der Professor sind selbdritt
So mächtige Bedenkenträger,
Als Autor komm ich da nicht mit.
Für diese großen Geistesfürsten
Bin ich ein armes Dichterwürstchen,
Ich muss doch wissen, dass der Reim
Der Königsweg ins Altersheim
Ist. Wie ein Häufchen Elend haue
Ich ab. Ich will nicht mehr, ich kann
Nicht mehr, ihr könnt mich mal. Und dann
Geht’s doch. Ich lade ein paar schlaue,
Nur halb genervte Freunde ein
Zu reinem Wein und schönem Schein.
Wie kann ich diese Form begründen,
Den ganzen komplizierten Reim,
Sind das nicht alles Jugendsünden,
Ein gammeliger Haferschleim,
Den ich in Puschkins Backform gieße?
Was braucht die Welt – verquirlte Grieße?
Herrn Seth, der kleine Brötchen backt?
Ist das nicht alles abgeschmackt?
Die Wahrheit ist: Legitimieren
Kann ich das nicht. Mein Großprojekt
Wird nicht durch ein Programm gedeckt.
Ich will es aber ausprobieren,
Das wird schon werden, irgendwie.
Was gar nicht hilft, ist Theorie.
Ich danke Ihnen für all das, was dieser Preis ermöglicht.